Photo Melanie Schroff
Ein fast normaler Morgen
Heute morgen um halbsechs war ihre Nacht das erste Mal vorbei. Ich habe sie gleichzeitig durch den frühen Morgen und durch das Wohnzimmer geschaukelt. Wir haben das erste Mal gemeinsam den Sonnenaufgang bestaunt. Wobei ich vor allem darüber gestaunt habe, wie toll meine Jüngste schon staunen kann.
Es folgten Frühstück mit Nummer Drei und Nummer Vier, Verabschiedung der Älteren (sie darf seit einer Woche wieder in die Schule) und plappernde Verfrachtung der Jüngeren in den Kindergarten.
Bei der Rückkehr finde ich ein neuerdings vertrautes Schauspiel vor: Die junge Mutter und Krümel am Futtern. Also Krümel am Futtern bei Muttern.
Dann Baby-Fitnesstraining am Boden. Turnender Krümel arbeitet an der Nackenmuskulatur. Und die Mama chearleaded – leider ohne die zugehörige Kleidung.
Die letzten Schwangerschaftsmonate haben ihren Tribut gefordert. Also, was den Garten angeht…
Sorry Süsse, keine Zeit für den Krümel
Mit dem Baby-Vertüddeln konnte das nicht lange so weitergehen. Der Garten ist ein Urwald und meiner großen Süßen, der Mutter des Kindes, juckt es schon seit Tagen in den Fingern. Die Gartenschere ruft, der Rasenmäher und überhaupt, der Dschungel will gezähmt werden.
Pech, denn ich habe keine Zeit für den Floh. Ich muss an meiner Webseite arbeiten. So wie seit fünfzehn Jahren. Ich werde einfach nicht fertig mit dem Teil…
Aber irgendwann war dann immerhin die Startseite fertig. Also habe ich mir das neulich noch komplett friedliche, mittlerweile aber erlebnishungrige Päckchen geschnappt, in den Kinderwagen verfrachtet und bin mit ihr losgezogen.
Welcome to the Hühnerweg
Wir leben ja auf dem Land. Und gleich um die Ecke haben wir einen schönen Weg, an dessen Namen sich die Geister scheiden.
Wir nennen ihn Hühnerweg, obwohl die Gänse am Anfang des Weges vielmehr Lärm machen als die Hühner. Aber möglicherweise sind die Hühner in der Überzahl. Vom Hühnerweg zweigt der Ziegenweg ab, aber das führt jetzt zu weit.
Bei den älteren Bewohnern des Ortes heißt der Hühnerweg Bunkerweg. Denn am Rande des Weges warten noch ein paar Reste aus den Weltkriegen auf Verschönerung durch sprayende Jungendliche. Was natürlich nicht passiert, weil wir auf dem Land wohnen. Hier gibt es keine Geschäfte, in denen jugendliche Sprayer Spraydosen klauen könnten.
Auf jeden Fall waren Nummer Fünf und ich nach ein paar Minuten auf besagtem Weg unterwegs. Aber unsere sonst so familiengeeignete Flaniermeile war heute weit weniger geeignet als gewohnheitsmäßig erhofft.
Die Junisonne machte mit einer Heftigkeit runter, als wollte sie die jungen Mais-Pflanzen auf dem Acker zur Popcorn-Produktion verführen. Und der Beton unter meinen Füßen fühlte sich weicher an als sonst. Ich hatte meine Not, die Jüngste vor der gefährlichen Strahlung zu schützen.
Freunde der Familie
Ich war froh, als ich nach einigen hundert Metern bei „unseren“ drei Bäumen herauskam. Dabei handelt es ich um eine Wegmarke, an der wir mit den größeren Mädchen am Abend gerne kehrt machen. Die kleine Runde ist das dann. Und die Bäume sind gute Freunde der Familie.
Was mir heute erst klar wurde: Über eine Strecke von ca. 20 Metern spannen sie einen perfektes Sonnendach aus Ästen und Blättern. Unter diesem Dach liegt der Weg weitestgehend im Schatten. Aber hier und da tanzen kleine, gut gelaunte Sonnensprenkel über die großen, schweren Betonplatten.
Hoch erfreut über die schattenspendenden Freunde fing ich an, Nummer Fünf in einem langgezogenen „O“ im Kreis zu schieben. Aber es dauerte nicht lange und ich dachte: Os sind toll, aber Achter sind toller. Denn Achter sind so unendlich bedeutungsschwanger.
Europapark in Odelshofen
Und tatsächlich: Die Achter machten mir und dem Mädchen noch mehr Spaß als die Os. Das Lächeln kommt in diesem „Alter“ ja noch vollkommen spontan und unwillkürlich. Sie kam aus dem schlafenden Strahlen gar nicht mehr heraus.
Ich dachte an die Mutter des Mädchens. Das passiert mir dauernd. Und wegen der Mama und der Acht dachte ich an Achterbahnen. Mir wurde schnell klar, dass Achterbahnen nicht in Achtern fahren – früher vielleicht mal und wenn Leute kleine Achterbahnen in ihrem Garten bauen.
Normale Europapark-Achterbahnen verlaufen in weiten und engen Kurven ohne erkennbare Symbolik. Also fing ich an, mit dem Kinderwagen enge und weite Bahnen zu ziehen.
Es fühlte sich ein bisschen nach Achterbahn an, aber wesentlich geschmeidiger. Das Mädchen schlief entspannt und selig weiter. Sie schien durchaus erfreut über die engen Kurven und die leichte Intensität der ständigen Wendebewegungen des Kinderwagens.
Kinderwagenballett statt Gehmeditation
Ich kam in eine richtige Trance und dachte an so vieles. Ich dachte an die Gehmeditation im Kloster früher. Wie ich mich da zur langsamen Bewegung gezwungen hatte. Und wie ich mich an den fremden Rhythmus der anderen angepasst hatte.
Mit Nummer Fünf und dem Kinderwagen konnte ich jetzt ganz beschwingt und lebendig meinem eigenen Rhythmus folgen. Früher hätte ich gedacht, die formale Gehmeditation sei wichtiger, als mein aktuelles Kinderwagenballett. So ein kindischer und arroganter Bullshit!
Ich dachte daran, wie schön es ist, wenn das ganze Leben gleichzeitig zum Kloster, zum Dancefloor und zum Freizeitpark wird. Ich fühlte mich einmal mehr wie ein Millionär ohne die zugehörigen Geldsorgen.
Obwohl ich natürlich Geldsorgen hege – die auf niederem Niveau allerdings. Und die hege ich tatsächlich schon länger, als ich an der Webseite herum schraube. Es geht doch nichts über knackige Probleme. Denn diese ermöglichen uns, geistig beweglicher zu werden und unsere Lebendigkeit zu kultivieren. Hüstl!
Was lernen wir aus dieser Anekdote?
Tun, was dran ist, ist eine tolle Art, unser Leben zu leben. Wir können dem achtsamen Lustprinzip folgen. Wir können tun, worauf wir situativ Lust haben. Und wir dürfen dabei im Blick behalten, was bei den anderen gerade dran ist.
Der Alltag ist wirklich ein Übungsort für Leichtigkeit, Lebensfreude und Glückseligkeit. Was wir brauchen ist immer da. Mal schreit es. Mal lacht es. Mal scheint es heftig vom Himmel. Mal spendet es Schatten. Und ganz häufig dürfen wir einfach darauf herum latschen, ohne dass es sich beschwert.
Und wo wir schon mal beim Latschen sind: Gehmeditation ist schön. Auf der Erde aufrecht gehen zu können ist ein Wunder. Aber Tanzen ist schöner. Und täglich mit einer ganzen Schar an Hühnern tanzen zu dürfen, ist das Allergrößte. (Gänse haben wir hier zuhause keine…)
Wir fassen zusammen
Das Mädchen hatte geschrien. Die Mama und ich taten, was dran war. Sie wollte in den Garten. Und ich wollte mit der Jüngsten tanzen, obwohl ich das beim Aufbrauch noch nicht einmal ahnte. So bekam ich einen wundervoll verzauberten Moment geschenkt.
Meine große Süße schlug sich mit dem Rasenmäher herum und der Rasenmäher ging dabei in die Knie. Aber das gehört unter der Überschrift „Sensenmann, geh mal mit der Sense ran“ in die Rubrik „Produktiv glückselig mit Haus und Garten“. Ein Thema für ein anderes Mal vielleicht.
Meine Einladung an dich: Nimm das nächste Problem, das sich bietet. Folge einem spontanen, lustvollen Lösungsimpuls. Und lass dich überraschen, wie du all das nutzen kannst, um agiler und lebendiger zu werden.
Lazy Days Magazine
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